Wir helfen unseren Nachbarn von Morgen
Auch nach der großen Hilfswelle im Jahr 2015 gibt es viele Initiativen, die Flüchtlinge unterstützen. Unbürokratisch, unentgeltlich und mit viel Freude. Shalom Alaikum ist eine davon. Verena Krausnecker über die Motivationen des Vereins, die Skepsis in der jüdischen Gemeinde und das Schweigen der Politik über die Zivilgesellschaft. Interview: Gunnar Landsgesell & Alexander Pollak, Fotos: Mahmoud Ashraf & Alexander Pollak
War Shalom Alaikum von Anfang an als jüdisches Projekt geplant?
Krausneker: Wir waren alle unabhängig voneinander in der Flüchtlingshilfe aktiv und haben uns im Herbst 2015 zufällig gefunden. Wir hatten zwei Motivationen: Als die vielen Menschen nicht mehr durch Wien gezogen sind, wollten wir weitermachen – aber mit denen, die hier bleiben. Und wir wollten als jüdische Flüchtlingshelferinnen sichtbar sein. Wir haben alle gute Erfahrungen gemacht, als wir den Leuten geholfen haben.
Wir wussten nicht, ob die Leute jüdische Menschen kennen und wie sie das finden. Ich hatte über viele Monate immer wieder Menschen bei gehabt, in meiner Wohnung sieht man, dass ich jüdisch bin. Die Reaktionen waren sehr offen, interessiert, neugierig und freundlich.
Das klingt nach einer Bestätigung, Ihre Arbeit in einem Verein fortzusetzen.
Krausneker: Ja, wir suchten ein Haus mit einer Größe, die für uns und unsere Möglichkeiten machbar war. Chanukka 2015 war ein Anlass, uns vorzustellen und Geschenke zu machen, ohne dass es beschämend wäre. Wir haben Wishlists ausgeteilt und dann vom Fußball über Socken bis hin zu Zimmerpflanzen die Geschenke verteilt. Alle Familien aus dem Haus haben gekocht, das war sehr schön.
Gibt es noch immer Wishlists?
Krausneker: Ja. Wir sind noch immer das kleine Team von sechs Frauen und auf unserer Facebook-Seite haben wir einen Kreis von rund 1.600 Unterstützerinnen. Zum Beispiel: Asmaa und Khaled haben sich einen Deutschkurs gewünscht, weil sie in ihrer Wartezeit, die schon 1,8 Jahre dauert, kein Recht auf einen Kurs haben. Eine Frau hat dann die volle Summe für einen Deutschkurs gespendet.
Welche Wünsche gibt es, die man nicht erfüllen kann?
Krausneker lachend: Einen Flachbildschirm schaffen wir nicht. Aber wenn Nazir sagt, er braucht Sportschuhe, weil er laufen gehen will, um nicht verrückt zu werden im Kopf, das geht schnell... Ich möchte auch dazusagen: Unser Spenderinnenkreis ist großteils nicht jüdisch. Die vielen Leute, die Shalom Alaikum ermöglichen, tun das, um Flüchtlinge zu unterstützen.
Wer sind Ihre Partner?
Krausneker: Unsere wichtigsten Partner sind „wieder wohnen“ und das Team des Hauses. Sie ermöglichen, dass wir mit den Familien Kontakt haben. Wir haben einen Termin eingerichtet, der heißt „Let’s talk“, der einmal im Monat für zwei Stunden stattfindet. Die Leute brauchen Unterstützung bei Behördenwegen oder dass man einen Arztbefund erklärt. Wir machen viel Nachhilfe, ich lerne einmal die Woche mit einem siebjährigen Kind Deutsch. Es gibt auch Zeitspenden, das sind zum Beispiel Leute, die Kontakt mit einer Familie über viele Monate haben und sie begleiten.
Wie geht es Ihnen im Haus, Frau Abdullah?
Asmaa A: Wir sind seit mehr als eineinhalb Jahren hier, das ist eine schwierige Situation. Wir leben mit einer zweiten Familie in einer Wohnung. Da muss man unterschiedliche Gewohnheiten und Traditionen zusammenbringen. In einer Wohnung gibt es auch nur ein Bad, aber wir finden uns zurecht.
Krausneker: Wenn die Menschen den Aufenthaltsbescheid haben, müssen die Menschen nach den Regeln von „wieder wohnen“ innerhalb von vier Monaten ausziehen. Dabei helfen wir noch. Manche sehen den Auszug als Beginn ihrer Selbstständigkeit, andere bleiben mit uns in Kontakt. Wichtig ist mir: Wir sind alle Wienerinnen und haben hier ein Netzwerk. Zugang zu Jobs, ein Platz in einem Gymnasium, das alles funktioniert auch aufgrund dieses Netzwerks, das wir zugänglich machen. Das ist auch ein großer Teil unserer Arbeit.
Ist „Shalom Alaikum“ ein Projekt zur Integration der Menschen?
Krausneker: Unser Gedanke war: Das sind unsere zukünftigen Nachbarn und Nachbarinnen. Und wir wollen diese Nachbarschaft jetzt schon begründen und zu etwas stabilem und friedlichem machen. Wir bauen zusammen etwas. Deshalb machen wir auch Interviews immer nur gemeinsam. Shalom Alaikum als Idee allein funktioniert nicht, das ist eine Partnerschaft.
In der jüdischen Gemeinde gibt es teilweise Ängste, der Antisemitismus könnte größer werden. Wollten Sie dem auch begegnen?
Asmaa A. schüttelt den Kopf als sie das Wort „Antisemitismus“ hört.
Krausneker: Asmaa sagt Nein, und unsere Arbeit zeigt unseren Freunden auch, man muss keine Angst haben. Bei uns im Haus ist Frieden, wir haben keinerlei negative Erfahrungen gemacht. Hinsichtlich der jüdischen Gemeinde waren wir aber doch überrascht, wie groß die Ängste sind. Ich denke, durch unsere – sehr transparente – Arbeit hat sich das aber verändert. Es hat in den 1,5 Jahren keine einzige unangenehme Situation im Umgang mit den Menschen, die wir unterstützen, gegeben. Über unsere Arbeit in der Gemeinde zu erzählen ist auch ein wichtiger Teil unserer Arbeit, das haben wir verstanden. Wir erhalten im Juni den Leon Zelman Preis, das ist eine große Ehre.
Welche persönlichen Rückmeldungen haben Sie innerhalb der jüdischen Gemeinde erhalten?
Krausneker: Ich persönlich hatte keinerlei schlechte Erfahrungen, aber Vorstandskolleginnen haben Freundschaften eingebüßt. Das ist schlimm. Das Problem ist: Meine Vorstandskollegin hat zu einer Freundin gemeint, sie soll doch mit in das Haus kommen, sie kennt die Leute seit über einem Jahr. Die Antwort war „Nein“. Diese Ablehnung hat uns erschreckt. Aber ich glaube, das hat schlicht mit Angst zu tun, wo es einfacher ist, an der Angst festzuhalten und seine Identität daraus zu schöpfen, als aus einer neuen Erfahrung.
Wie war das im Irak, wurde dort Antisemitismus geschürt?
Khaled H.: Im Irak haben auch Juden gelebt, aber das ist lange her, in den Fünfziger Jahren, sie waren Nachbarn in einem Bezirk in Bagdad. Aber die Probleme, auch in Syrien, haben nicht mit Juden zu tun. Da kämpfen Araber gegen Araber.
Hat es Phasen gegeben, in denen Sie Shalom Alaikum beenden wollten?
Krausneker: Nein, keine existenziellen Krisen. Im Gegenteil: Meine Welt ist so viel größer geworden, wir machen immer wieder neue Dinge. Vor einem Monat haben wir einen Frauennachmittag gemacht und haben bei mir eine Nachmittagsparty gemacht. Letzten Sommer gab es ein großes öffentliches Picknick im Prater mit 100 Menschen, auch mit den SpenderInnen. Im Haus ist es zu eng für so eine Veranstaltung.
Trifft es Sie, wenn höhnisch über Willkommenskultur geredet wird, oder Sebastian Kurz sagt, deren Protagonisten sind schuld daran, dass jetzt die Grenzen dicht gemacht werden müssen?
Krausneker: Das trifft mich sehr. Nicht die einzelnen Bemerkungen. Aber, dass der gesamte politische Diskurs in Österreich ignoriert, was an ehrenamtlicher, guter Arbeit und täglicher Begleitung passiert. Wer die Situation handhabt, sind lauter einzelne Leute und Communities. Dass das überhaupt nicht positiv im politischen Diskurs abgebildet wird, macht mich richtig wütend. Es gibt hunderte Initiativen so wie Shalom Alaikum in Österreich, die immer noch die Menschen begleiten. Dem wird keine Rechnung getragen. Zuletzt ein unqualifizierter Querruf eines Multimillionärs. Ich denke mir: Hallo, ich bin diejenige, die auf meinen Couches und auf Gästebetten die Leute untergebracht hat. Das ist die Realität. Die großen Probleme, von denen gesprochen wird, sehe ich jedenfalls nicht. Aber die Bemerkung von Kurz ist insofern komisch, als wir von seinem Ministerium für unsere Arbeit einen Anerkennungspreis erhalten haben. Das ist schon ein bisschen schizophren.
Verena Krausneker ist Sprachwissenschaftlerin an der Universität Wien. So wie alle anderen Vorstandsmitglieder leistet sie Ihren Beitrag zu Shalom Alaikum zu 100 Prozent ehrenamtlich. Mehr zu dem Verein: www.facebook.com/ShalomAlaikumVienna
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo