
Die tapferen Krieger der Wiener Polizei
SONDERECKE. Angriff mit Worten. In Berlin lernte die europäische Polizeielite den Rechtsstaat sprachlich in sein Gegenteil zu verkehren. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Philipp Sonderegger beobachtet die Exekutive, Illustration: Petja Dimitrova
Ulan bedeutet „tapferer Krieger“ und Ulan ist auch der offizielle Rufname der Einsatzeinheit der Wiener Polizei. Einsatzeinheiten sind so etwas wie die Demo- und Fußballpolizei. Ihre Angehörigen versehen gewöhnlich Dienst auf Polizeiinspektionen. Sie üben mehrmals jährlich und werden zusammen gezogen, wenn das eine oder andere Gerangel erwartet wird, aber die kostspielig trainierte WEGA unterfordert wäre.
So auch am 1. Mai, als es zu den geschilderten Szenen kam. Ulanen verfolgten eine Rad-Demo am 1. Mai auf der Hauptallee. Aus dem noch rollenden Bus platzierte ein Polizist laut Augenzeuginnen einen Stoß gegen den Oberschenkel eines Radlers. Der kam zu Sturz. Eine Aufforderung über den Lautsprecher, anzuhalten, erfolgte nicht. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Ulane den Gestürzten beschimpft und tritt.
Die Rad-Demo war ein schwieriger Einsatz. Niemand der TeilnehmerInnen war willens und in der Lage, die Route mit der Exekutive zu koordinieren. Das ist noch kein Auflösungsgrund, ebenso wenig kleinere Verstöße gegen die StVO. Die Polizei war also zunächst gesetzlich verpflichtet, die Rad-Demo abzuwickeln und den Seitenverkehr abzuriegeln.
An sich hat die Wiener Polizei ausreichend Erfahrung für die Sicherung spontaner Märsche. Videos vom 1. Mai zeigen aber eine Überforderung, was die Geschwindigkeit der RadlerInnen betrifft. Mehrfach kam es zu gefährlichen Situationen, als die Motorradpolizei versuchte, RadfahrerInnen knapp zu überholen, umzuleiten oder anzuhalten. Ein Motorrad fiel um, die Situation heizte sich auf.
Aus der Logik der Durchsetzungsfähigkeit hat die Polizei die Oberhand behalten. Doch die Kultur der Tapferkeit führt in die Sackgasse. Niemand kann wollen, dass sich eine Dirty-Harry-Haltung in den Einsatzeinheiten verfestigt und PolizistInnen selbst für „Gerechtigkeit“ sorgen, weil sie Verhältnismäßigkeit als Machtlosigkeit erleben. Vielleicht sollte die Polizeiführung weniger aufrüsten und sich mehr um das Vertrauen sozialer Bewegungen und eine gute Gesprächsbasis bemühen. Das Regierungsprogramm sieht das vor. Eine Umbenennung der Einsatzeinheiten würde dem bestimmt auch nicht im Wege stehen.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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