
Handlungsbedarf: Gegenwärtiger Antisemitismus
Die Bundesregierung ruft zum Kampf gegen Antisemitimismus auf und verleugnet zugleich das Antisemitismusproblem, das sie selbst hat. Kommentar von Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova
Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache scheinen sich einig darin zu sein, dass der Kampf gegen Antisemitismus höchste Priorität genießt. Kurz spricht davon, dass es „für Antisemitismus, Rassismus und Hetze keinen Platz in unserer Gesellschaft geben“ dürfe und es daher wichtig sei „solchen Tendenzen mehr denn je entschieden entgegenzutreten“. Strache sagt, Antisemitismus habe „in der FPÖ, aber auch im 3. Lager im Allgemeinen, nichts verloren“, er fügt jedoch hinzu „Antisemitismus ist dort auch nicht vorhanden“.
Der letzte Satz macht stutzig. Antisemitismus nicht vorhanden? Recherchen von SOS Mitmensch dokumentieren, dass die FPÖ-Parteiführung seit vielen Jahren die Verbreitung von Antisemitismus mit hohen Geldsummen unterstützt. Die rechtsextreme und zutiefst antisemitische „Aula“ wurde in den vergangenen 10 Jahren mit regelmäßigen Inseratschaltungen gefördert. Dort wurden etwa Beiträge abgedruckt, die von der „Judaisierung der Welt“ sprechen und die die Frage aufwerfen, ob die „jüdische Weltherrschaft“ nur noch „eine Frage der Zeit“ sei.
Der Holocaust wird in „Aula“-Artikeln oftmals nur unter Anführungszeichen geschrieben. Holocaustleugnern werden Huldigungsbeiträge gewidmet, wohingegen KZ-Überlebende verunglimpft werden. Selbst Neonazis erhalten in der „Aula“ breiten Raum für ihre Ergüsse. Das NS-Verbotsgesetz wird regelmäßig attackiert. Gleichzeitig tauchen regelmäßig FPÖ-Spitzenpolitiker wie Strache, Hofer, Haimbuchner, Kunasek, Gudenus und viele mehr in der „Aula“ auf. FPÖ-Obmann Strache gehört sogar zu jenen, die dem antisemitischen Magazin zu dessen Jubiläum schriftlich gratulierten. Strache sprach dabei wörtlich von „unserer Aula“.
Hofer: „Soros steuert Flüchtlingsströme“
Wenn Strache nun meint, Antisemitismus sei im dritten Lager nicht vorhanden, dann erteilt er der kritischen Aufarbeitung von Antisemitismus eine herbe Abfuhr. Denn was nicht vorhanden ist, kann auch nicht aufgearbeitet werden.
Hinter den Regierungsrufen nach einem „Kampf gegen Antisemitismus“ steckt demnach weniger der Wille zu einer ernsthaften Auseinandersetzung als vielmehr Strategie: Es soll eine Schutzfassade aufgebaut werden, um Vorbehalte gegen die Regierung wegen ihrer Nähe zum organisierten Rechtsextremismus abzuwehren.
Wie dünn diese Abwehrfassade ist und wie sehr es dahinter wuchert, zeigte ein Ereignis kurz vor der Nationalratswahl. Das Führungsduo der FPÖ, Strache und Hofer, war in einem rechtslastigen Magazin gemeinsam zum Interview angetreten. Vom Interviewer darauf angesprochen, dass der Milliardär George Soros „der Lenker der Masseneinwanderung“ sei, wiesen sie diese in antisemitischen Kreisen beliebte Verschwörungstheorie nicht etwa brüsk zurück, sondern Hofer legte nach: „Soros steuert mit Sicherheit einiges auf der Welt, auch die Flüchtlingsströme. Das weiß man.“
Zweifelsohne ist der Antisemitismus, der in der jetzigen Regierung steckt, nur ein Teil des Antisemitismusproblems in Österreich, allerdings ein gewichtiger Teil, der seit dem Regierungseintritt der FPÖ bis hinein in höchste Ämter dieser Republik reicht.
Juden und Jüdinnen haben ein Recht auf ein freies, sicheres und gleichberechtigtes Leben in Österreich, ohne Bedrohung für Leib und Leben, ohne Belästigung auf der Straße, ohne Diskriminierung, ohne Hetzkampagnen, ohne Verleugnung antisemitischer Verbrechen und ohne zum Bestandteil von Verschwörungstheorien gemacht zu werden.
Dafür muss umfassend gekämpft werden: im persönlichen Alltag, in der Bildung, in religiösen und nichtreligiösen Vereinen, in Medien, der Justiz, der Exekutive und auch in der Politik.
--> Studie zur FPÖ-Unterstützung für Antisemitismus zum Herunterladen
--> Antisemitismus-Gutachten zur rechtsextremen "Aula" von Dr. Juliane Wetzel zum Herunterladen
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