
Handlungsbedarf: Lästige Verfassung
Die Bundesverfassung ist dazu da, um die Politik und unsere Gesellschaft zu leiten und, wenn notwendig, auch zu behindern. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova
Die Bundesregierung will ein Gesetz erlassen, das die massive Schlechterbehandlung von Asylberechtigten bei Sozialleistungen vorsieht. Der Innenminister will die gesetzliche Abschaffung des Rechts auf Asyl für Menschen, die mit Schleppern gekommen sind. Er will auch die Möglichkeit, in akute Kriegsgebiete abschieben zu können. Für Asylsuchende soll es am Abend ein Ausgehverbot geben. Ein Vertreter einer Landesregierung fordert ein Niederlassungsverbot für Musliminnen und Muslime in Österreich. Das ressortlose Mitglied einer anderen Landesregierung fordert ein Verbot des Zugangs zum Gemeindebau für Musliminnen und Muslime.
Wir erleben eine Zeit, in der nahezu im Monatstakt von der Spitzenpolitik Forderungen erhoben werden, die mit der österreichischen Verfassung unvereinbar sind. Teilweise werden diese Forderungen auch umgesetzt, bis der Verfassungsgerichtshof einschreitet und etwa die diskriminierenden Mindestsicherungsregelungen in einigen Bundesländern aufhebt oder den Entzug von Staatsbürgerschaften aufgrund fragwürdiger Listen stoppt.
Nun ist es nicht neu, dass Gesetze verabschiedet werden, die später vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden. Neu ist jedoch, dass die Regierung immer öfter Forderungen erhebt, die den zentralen Grundprinzipien unserer Verfassung zuwiderlaufen. Der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk sagt dazu in der „Presse“: „Es ist ein Ausloten von Grenzen. Während es früher um punktuelle Änderungen ging, die der einen oder anderen Gruppe vielleicht Vorteile verschafften, geht es heute um Fundamentales. Ein grundlegender Umbau von Staat und Gesellschaft soll bewirkt werden.“
Neu ist auch, dass Verfassungsrichter ernannt werden, die eine Nähe zu rechtsextremen Kreisen haben. Neu ist zudem, dass Verfassungsrichter auch noch nach ihrer Ernennung ein Geschäftsverhältnis zu Regierungsmitgliedern pflegen und ihre fehlende Unabhängigkeit zur Schau stellen. Erst nach Kritik legte Verfassungsrichter Rami die Vertretung als Anwalt von Vizekanzler Strache und Innenminister Kickl zurück.
Diese Entwicklung ist problematisch, möglicherweise sogar gefährlich. PolitikerInnen, die Gesetze einfordern, die den Grundprinzipien der Verfassung widersprechen, zeigen, dass ihnen die Wahrung der Verfassung kein Anliegen ist. Sie zeigen, dass sie, wenn es die Verfassung nicht gäbe, jederzeit Unrechtsgesetze erlassen würden.
Innenminister Herbert Kickl hat inzwischen mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er Teile der österreichischen Verfassung und der im Verfassungsrang befindlichen Menschenrechtskonvention als lästig empfindet, weil sie ihn in seinem Handeln behindern. Seine Parteikollegin, die Nationalratsabgeordnete Dagmar Belakowitsch hat das untermauert, indem sie sagte „Niemals haben wir uns damit abzufinden, dass Gesetze uns in unserem Handeln behindern.”
Doch genau dazu ist die Verfassung da, um die Politik und unsere Gesellschaft zu leiten und, wenn notwendig, auch zu behindern. PolitikerInnen, die eine antidemokratische Agenda haben, die Gleichheit, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und andere Grundprinzipien eines Rechtsstaates, einer Demokratie und der Menschenrechte außer Kraft setzen wollen, sollen eben nicht frei handeln können.
Es ist bemerkenswert, dass es bislang, von einzelnen Mahnrufen abgesehen, keine breite öffentliche Debatte über das politische Anrennen gegen unsere Verfassung gibt. Unverständlich ist auch, warum Unvereinbarkeitsbestimmungen für VerfassungsrichterInnen weiterhin blockiert werden.
Die österreichische Bundesverfassung ist das Grundgebäude unseres Rechtsstaates. Werden tragende Mauerstücke aus der Verfassung herausgebrochen, droht das gesamte Gebäude ins Wanken zu geraten. Und nimmt der Verfassungsgerichtshof seine Aufgabe nicht mehr unabhängig wahr, droht das schrittweise Absterben der Verfassung und damit auch unserer Demokratie.
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